Rahmenbedingungen für den Spracherwerb

„Kinder erwerben ein Zugehörigkeitsgefühl hauptsächlich durch das Lernen von ‚Rahmen‘ (sich wiederholende soziale Situationen mit ihren eigenen Regeln, Erwartungen und Einsichten)….. Das Wichtigste ist die Festlegung der Regeln und ihre häufige Wiederholung….. Schwierigkeiten eines Kindes mit Rahmen können daraus resultieren, dass wir die Regeln nicht deutlich genug ausgesprochen haben….. Rahmen gehören zum verborgenen Curriculum der Erziehung.“
D. Elkind, 1991

Gemäß MEAD ist die Familie der primäre Ort für:

  • die Entwicklung von Sprache und Identität
  • den Aufbau des Wertesystems
  • frühkindliche Bildung

Die Familie fungiert zu Beginn der Hauptphase der Sprachentwicklung oft als einzige Vermittlerin zwischen der Umwelt und den wertbezogenen Einstellungen, die individuelle Beurteilungsmuster formen.

MACCOBY sieht die Familie als die „Hauptarena“ für die kindliche Sozialisation. Später kommen andere lebensweltliche Erfahrungen und Personen hinzu, die das Wertesystem beeinflussen können.

Besonders in jungen Jahren beobachtet das Kind genau, 

 

  • wie seine engsten Bezugspersonen und andere Familienmitglieder im Alltag miteinander kommunizieren, 
  • wie Dialoge mit ihm geführt werden (z. B. Mitteilungen, Erklärungen, Aufforderungen, Begründungen, Anweisungen, Befehle), 
  • welche Formen der verbalen Konfliktlösung existieren, 
  • welche „Hierarchieverhältnisse“ erkennbar sind, 
  • wie andere bekannte und fremde Personen in bestimmten Situationen direkt und indirekt bewertet werden, 
  • und welchen Personen höhere Wertschätzung entgegengebracht wird.

 

Der Prozess der Sozialisation, der laut FEND den Aufbau von Verhaltensweisen und die Integration eines Individuums in die Gesellschaft oder eine Gruppe 

durch den Erwerb von Normen, Werten, Symbolen und Interpretationssystemen beinhaltet, beginnt in der Familie.

Dieser Prozess findet im sozial-kulturellen Umfeld statt und umfasst das Erlernen von:

  • Sprache(n)
  • Normen, Werten, Rollen und Regeln sozialen Handelns
  • Ausdrucksformen (Kleidung, Rituale, Körperbemalung, Religionsausübung, Kunst, Literatur, …)

Eine der frühesten Erklärungen für die Wirkung früher Sozialisationserfahrungen ist das Höhlengleichnis von Empedokles (geboren um 490 v. Chr.).

Alltägliche Situationen, in denen Wert- und Organisationsmuster im Alltagsleben vermittelt und sprachlich ausgedrückt werden:

  • Festlegung von zeitlichen Prioritäten bei Handlungen
  • Begründung und Rechtfertigung eigener Handlungen oder Vorhaben
  • Stellungnahme zu oder Wertung von Ereignissen und Handlungen anderer Personen
  • Bewertung der Wortwahl oder des Sprechens

Beispiel für einen Dialog mit Adjektiven:

ALTER: 2:10

SITUATION: Das Kind bemerkt beim Tischdecken, dass die Mutter noch keinen Löffel hat. Als die Mutter zum Tisch zurückkommt, äußert das Kind

KIND: Hier, du hast noch keen, du hast doch noch keen, du hast doch noch keen (noch keinen)

ERWACHSENER: Wie bitte?

KIND: Du hast noch keen.

ERWACHSENER: Ich hab‘ noch keinen [gedehnt], sprich bitte ordentlich.

KIND: Du hast doch noch keinen.

ERWACHSENER: Ja, ich brauche auch keinen. Ich glaube, ich esse keinen Kuchen..

In einer Studie von VERNON-FEAGANS und anderen (2016) wird eine Verbindung zu den sogenannten exekutiven Funktionen hergestellt, wie Kurzzeitgedächtnis und die Kontrolle von Hemmung und Aufmerksamkeit. 

Diese Funktionen entwickeln sich in den frühen Jahren durch das Zusammenspiel von Hirnreifung und sozialen Erfahrungen in der Familie.

 

Als besonders kritische Faktoren der Familienstruktur erwiesen sich:

  • Mangel an Routinen
  • ständig laufender Fernseher
  • Geräuschkulisse innerhalb und außerhalb der Wohnung
  • Überbelegung (Anzahl der Personen im Verhältnis zu den Räumen)
  • Instabilität der Familie (häufige Umzüge, wechselnde Mutter-/Vaterfiguren usw.)

Die Studie ergab unter anderem, dass Kinder, die in einer familiären Umgebung mit wenig Routine aufwuchsen, einen weniger entwickelten Wortschatz hatten.