Der Dialog

„In den meisten Fällen spielt der Erwachsene eine unentbehrliche Mittlerrolle. Er lehrt das Kind zunächst den Anfang aller Weisheit, dass seine Äußerungen praktische Folgen haben…nur in dem ständigen Zusammenwirken der inneren, zum Sprechen drängenden Anlagen und den äußeren Gegebenheiten der Umweltsprache, die jenen Anlagen Angriffspunkt und Material zu ihrer Realisierung bietet, kommt der kindliche Spracherwerb zustande.“
C. und W. Stern 1928, Die Kindersprache

Der Dialog kann als grundlegende Form der menschlichen Kommunikation betrachtet werden. Das Kind ist von Geburt an ein aktiver Partner in dieser dialogischen Interaktion. Allerdings ist seine Beteiligung anfangs noch nicht mit der sprachkompetenter Erwachsener vergleichbar. Die Eltern zeigen von Anfang an ein Verhalten, das für die Entwicklung der Kompetenz ihres Kindes von entscheidender Bedeutung ist: Sie schreiben dem Kind einfach Kompetenzen zu. Sie betrachten ihr Kind als gleichwertigen Kommunikationspartner, der etwas zu sagen hat und dessen „Mitteilung“ von Bedeutung ist. Dabei lassen sie sich (unbewusst) von den folgenden Prinzipien leiten:

Im letzten Drittel des ersten Lebensjahres hat das Kind aufgrund der unterstützenden Interaktionen der Eltern und seiner generellen kognitiven Entwicklung die grundlegenden Prinzipien der Dialogführung erworben. Dazu gehört das Prinzip der Intentionalität (sich an ein Gegenüber wenden, um Ziele und Absichten zu realisieren) und der Reziprozität (sich abwechselnd als sendende und/oder empfangende Person sehen).

Zwischen dem Alter von 2 und 4 Jahren beginnt das Kind schrittweise, seine Fähigkeiten im Dialog auf allen Ebenen der Sprache zu entwickeln und aktiv mitzuwirken. Auf dem Weg dorthin lassen sich einige besondere Entwicklungsmuster erkennen, wie beispielsweise die sogenannten phonetischen und syntagmatischen Assoziationen.

 

Phonetische Assoziation tritt auf, wenn das Kind nach dem Hören eines oft neuen Wortes ein bekanntes Wort, das ähnlich klingt, assoziiert. Zum Beispiel könnte es nach dem Hören des Wortes „Werk“ das Wort „Berg“ oder nach dem Wort „Heirat“ das Wort „Dreirad“ assoziieren.

 

Syntagmatische Assoziation zeigt sich, wenn das Kind nach dem Hören eines Wortes ein anderes Wort assoziiert, das in der Satzstruktur des vorherigen Wortes bereits gehört wurde. Zum Beispiel könnte es nach dem Satz „Der Maulwurf gräbt ein Loch“ das Wort „Bagger“ assoziieren, weil es den Satz „Der Bagger gräbt ein Loch“ an vorherigen Tagen oft gehört hat.

 

Diese Entwicklungsbesonderheiten zeigen, wie Kinder aktiv versuchen, ihre neu erworbenen Wörter und Strukturen in bereits bekannte Zusammenhänge einzufügen, um ihre sprachliche Kompetenz weiterzuentwickeln.

Die Eltern sind während dieses Entwicklungsprozesses die idealen Gesprächspartner für das Kind. Sie sind mit der Umgebung des Kindes vertraut und zeigen implizit, wie man seine Erlebnisse sprachlich teilen kann. In diesem Prozess modellieren sie gleichzeitig eine der wichtigsten Funktionen der Sprache: das Übermitteln von Beobachtungen, Erfahrungen und Erlebnissen, die der Gesprächspartner nicht kennt oder nicht selbst erlebt hat.

 

Das, was die Eltern dem Kind auf implizite Weise vermitteln, lässt sich folgendermaßen zusammenfassen: „Wenn du jemandem ein Erlebnis mitteilst, das der andere nicht kennt, musst du genügend Informationen über den zeitlichen und räumlichen Kontext sowie die Hauptakteure des Ereignisses geben, damit der andere dich verstehen kann und das Gespräch erfolgreich fortgesetzt werden kann.“ (siehe Beispieldialoge).

 

Auf der Ebene der sprachlichen Strukturen nutzen die Eltern dafür Zeit- und Raumbezugsmittel wie Zeitadverbien (gestern, vorhin, nachher, neulich), um diese Informationen zu vermitteln.

Beispieldialoge zu verschiedenen Entwicklungszeitpunkten:

 

Foto-Dialog

NAME: Tereza

ALTER: 1;1,17

SITUATION: Tereza wendet sich einem Foto von ihr selbst zu, das sie eben auf dem Tisch entdeckt hat und sagt zum Vater:

KIND: Eis-che da

ERWACHSENER: Das ist die Tereza!

KIND: Da eiche

ERWACHSENER: Das ist die Tereza!

KIND: Da! (zeigt auf ein anderes Bild von ihr als Säugling, das an der Wand hängt)

ERWACHSENER: Da ist auch die Tereza, richtig!

KIND: Da ch

ERWACHSENER: Wo ist die Tereza noch?

KIND: Da i-che (zeigt wieder auf das Bild auf dem Tisch)

ERWACHSENER: Und da ist die Tereza, ja. Du bist die Tereza.

KIND: Da (zeigt erneut auf das an der Wand hängende Säuglingsbild von ihr)

ERWACHSENER: Da is auch, da bist du noch ganz klein.

 

Elefanten-Dialog

NAME: Majid

ALTER: 2;3,5

SITUATION: Als Majid sein neues Bilderbuch durchblättert, entdeckt er einen Elefanten, zeigt ihn der Mutter und sagt:

KIND: Da Want! (Elefant)

ERWACHSENER: Elefant, ja, zwei Elefanten. Sschau mal der Clown lacht, der spricht mit dem Elefanten.

KIND: Ein Wasser britzt (spritzt)

ERWACHSENER: Ja, im anderen Buch spritzt der Elefant Wasser, genau, mit dem Rüssel.

 

Nach-Hause-Weg-Dialog

NAME: Fabian

ALTER: 2;7,9

SITUATION: Nachdem Fabian nach Hause gekommen ist, setzt er sich zur Mutter und trinkt ein Glas Milch. Plötzlich beginnt er vom Nachhauseweg zu erzählen.

KIND: Große Pfützen!

ERWACHSENER: Große Pfützen, bist du mit Papa durch den Park gelaufen?

KIND: Hm

ERWACHSENER: Aha, darum habt ihr so lange gebraucht, bist du gar nicht mit dem Bus oder Fahrrad kommen. Sondern mit dem Papa gelaufen.

KIND: Schulter Papa.

ERWACHSENER: Aha, auf der Schulter vom Papa und dann seid ihr auf der Seite vom Bäcker rausgekommen und da dachtet ihr, ihr bringt uns gleich noch was mit? War’s so?

KIND: Ja.

ERWACHSENER: Ja.

 

E-Mail-Dialog

NAME: Elisa

ALTER: 3;3,1

SITUATION: Die Eltern führen ein Telefongespräch. Kurz vor der Beendigung des Gespräches sagt der Vater als letzten Satz „…ich sage ihm, dass er jetzt erst mal kommen soll“. Diesen Satz hörte das zum Vater laufende Kind und fragt:

KIND: Wer kommt denn jetzt? Wer kommt jetzt?

ERWACHSENER: Jetzt kommt gar keiner, das war der Frank, der wollte etwas per E-Mail schicken für mich und es geht gerade nicht (beginnt erneut zu tippen)

KIND: Woher kommt der denn nicht? Wer kommt nicht?

ERWACHSENER: Der Frank wollte eine Nachricht per E-Mail senden, aber es klappt gerade nicht!

KIND: Warum kann er die nicht schicken?

ERWACHSENER: Es gibt gerade ein Problem, und die Nachricht kann nicht gesendet werden. Weißt du, man schreibt auf dem Computer oder Handy eine Nachricht und versucht, sie jemand anderem über das Internet zu schicken. Wie das genau funktioniert, weiß ich auch nicht so genau, aber der Frank versucht es gerade, und es klappt nicht.