Der Objektbegriff oder Basisbegriff ist eine grundlegende "Organisationseinheit"
des menschlichen Sprachgedächtnisses. Mit seiner Hilfe
können
wir Gegenstände aus einer Kategorie immer wieder als dieselben
wiedererkennen,
auch wenn sie in anderen Erscheinungsformen auftreten, sich in anderen
Situationskontexten befinden oder sehr lange nicht wahrgenommen
wurden.
Das Kind baut bis zu einem Alter von etwa 18 -20 Monaten seine
ersten
Objektbegriffe auf. Sie repräsentieren erste sprachbegriffliche
Ordnungen
der Gegenstandswelt der näheren Lebensumwelt. Gegenstände,
die
zuerst begrifflich geordnet werden, sind solche, die häufig Fokus
gemeinsamer Interaktionsaktivitäten waren, z.B. beim Spielen,
Erkunden,
Manipulieren und Betrachten. Dabei wurden diese Objekte häufig
benannt
und altersgemäß erklärt, d.h. in ihrer Funktion
demonstriert.
Meist sind es auch Objekte, die zum Spielzeug des Kindes gehören,
sich im Haushalt befinden und in bildlichen Darstellungen häufig
betrachtet
wurden, z.B. Auto, Katze, Hund, Ball, Ente, Puppe usw. Die
Objektbegriffe
werden durch sog. prototypische Merkmale repräsentiert. Das sind
invariante
Merkmale der Form und Funktion der zur Kategorie gehörenden
Objekte
(siehe Abbildung), die es ermöglichen, genau diese Objekte als zu
einer Kategorie zugehörig zu erkennen und von anderen, durchaus
ähnlichen
zu unterscheiden und damit auch richtig zu benennen (falls das Wort
dafür
bekannt ist). In den Abbildungen 1 und 2 sind jeweils die
prototypischen
Merkmale für die Objektbegriffe "Ball" und "Auto" dargestellt.

Abb. 1: Prototypische Merkmale eines der ersten Objektbegriffe ("Ball")

Abb. 2: Prototypische Merkmale eines der ersten Objektbegriffe ("Auto")
In der Abbildung 3 ist beispielhaft dargestellt, wie in der
Anfangsphase
der Entwicklung des Objektbegriffes "Auto" erste Wortformen vom
häufig
gehörten Wort "Auto" (hier "Atta") überdehnt verwendet
werden.
Einzelne Merkmale aus dem prototypischen Merkmalsset der Abbildung 2
sind
für sich allein erkennungsrelevant, noch nicht die
Merkmalskombination
als Ganzes. Folglich wird "Atta" auf Autos und auf Objekte bezogen,
die
irgendein autoähnliches Form- oder Funktionsmerkmal aufweisen.
Solche
Überdehnungen sind von Kind zu Kind verschieden, kommen aber im
zweiten
Lebensjahr recht häufig vor. Ganz zu Beginn der Entwicklung (etwa
ab 1;0) kann ein erstes Wort auch noch viel unspezifischer, z.B. im
Zusammenhang
mit einer bestimmten motorischen Aktion, gebraucht werden.

Abb. 3: Beispiele für einen stark erweiterten Bezug der ersten Wortform von "Auto"
Auch hier ist der Wortgebrauch des Erwachsenen in der gemeinsamen
Interaktion
von entscheidender Bedeutung. Denn woher soll ein Kind die
Namen
und die Art ihres Wirklichkeitsbezuges sonst erhalten, wenn
nicht
von den primären Bezugspersonen, die die
Erkundungsaktivitäten
des Kindes stimulieren. Die kindliche Anwendung der aus dem
Erwachsenenwort
"Auto" abgeleiteten frühen Lautkombinationen ("Atta", "Ato" oder
"Adta")
und die damit verbundene Rückmeldung im Dialog präzisieren
diese
Lautformen in Richtung auf das konventionelle Zielwort, und sie
verfeinern
seine Begrifflichkeit.
Interessant ist nun, dass die Wörter "Auto" und "Ball"
nicht
nur im Deutschen, sondern auch im Englischen und Schwedischen zu den
Wörtern
gehören, die im aktiven (gesprochenen) Wortschatz des Kindes
zuerst
erscheinen und relativ schnell bedeutungssicher gebraucht werden. Dies
dürfte auf dem Zusammenspiel der folgenden Faktoren beruhen:
- ein Auto ist ein "Kulturobjekt", mit dem das Kind praktisch von Geburt an konfrontiert wird; eine Begegnung mit einem Auto ist für das Kind oft mit kommunikationsauslösenden Effekten verbunden
- ein Auto und ein Ball gehören im allgemeinen zu den ersten Spielgegenständen, die wiederum Bestandteil kommunikativer Situationen sind
- als Spielgegenstände in Aktion sprechen sie mehrere Sinne an
- sie sind keine statischen Objekte
- beim Hören der Wörter "Auto" und "Ball" in verschiedenen Kontexten ist ihr Bezug relativ leicht erfassbar, da sie häufig in der elterlichen Angebotssprache erscheinen, wenn die Objekte vor dem Kind in Aktion sind
- die Wörter "Auto" und "Ball" sind artikulatorisch relativ einfach strukturiert.
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Autor: Bernd Reimann © 1998-2022